Fahrbericht:
Yamaha BT 1100 Bulldog
von Bernhard Hübner
Überall konnte man die Begeisterung spüren, als Yamaha im vergangenen Sommer die neueste Kreation des Hauses vorstellte. Nach dem Motto „weniger ist mehr” präsentierte Yamaha ein Motorrad ohne Schnickschnack, ohne viel Plastik und ohne richtungsweisende Neuerungen, ein Motorrad der ursprünglichen Art sozusagen. Zurück zu den Wurzeln mit der BT 1100 Bulldog.
Dabei ist die Neue wirklich nicht das, was man sich unter innovativem Fahrzeugbau vorstellt. 65 PS aus 1100 Kubik, das ist gerade mal genug, um einem Cruiser auf die Sprünge zu helfen. Doch davon ist die Yamaha gar nicht so weit entfernt. Roadster heißt die Schublade. Nicht ganz neu, doch bisher den Europäern vorbehalten. Mehr (BMW) oder weniger (Sachs) erfolgreiche Varianten dieser relativ jungen Gattung war bisher schon auf unseren Straßen zu Hause. Ganz fernöstlich ist die Yamaha-Variante dann aber doch nicht, denn gebaut wird sie bei Belgarda in Italien. Und das macht die Yamaha laut Briefeintrag zu einem italienischen Motorrad.
An der BT 1100 ist alles echt. Was aussieht wie Alu, ist auch Alu. Lampenhalter, vordere Tankabdeckung, Gepäckträger, ja selbst die Schaltereinheiten sind aus Metall. Kunststoff wurde eher spärlich verwendet. Das Ergebnis ist eindeutig: knappe 250 Kilo bringt die Bulldog fahrfertig auf die Waage.
Das Gewicht stört aber nur beim Rangieren in der Garage. Hat der Fahrer erst einmal in der tiefen Sitzmulde 812 Millimeter über dem Asphalt Platz genommen, ist die Welt wieder in Ordnung. Man fühlt sich regelrecht in das Motorrad integriert. Der hohe Lenker harmoniert prächtig mit der Position der Fußrasten. Die abgerundete Form der Sitzbank lässt auch bei Kurzbeinigen kein unsicheres Gefühl aufkommen.
Über jeden Zweifel erhaben ist die Bremsanlage. Dieser Yamaha-Universalverzögerer kommt in immer mehr Modellen zum Einsatz. Die 298mm-Doppelscheibe mit ihren Vierkolben-Sätteln im Vorderrad benötigt minimale Handkraft bei sehr hoher Bremswirkung und ist dabei vorzüglich zu dosieren. Unterstützt wird sie durch eine 267mm-Scheibe im Hinterrad.
Freunde großvolumiger Zweizylinder werden sich am Klang der komplett aus Edelstahl gefertigten Aus- puffanlage erfreuen. Besondere Freude bereitet das Anfahren aus niedrigsten Drehzahlen. Mit der Bulldog wird jede Ampelphase zum Klangerlebnis. Überhaupt das Anfahren: Wohl selten gab es ein Motorrad mit einer derart leichtgängigen Kupplung. Hier hätte die Bulldog die volle Punktzahl verdient, aber wir vergeben ja keine Punkte. Die Krönung wäre ein einstellbarer Kupplungshebel gewesen, wie ihn andere Hersteller seit langem im Programm haben. Wenigstens der Bremshebel ist vierfach verstellbar.
Das Fünfganggetriebe erledigt seine Aufgabe ebenfalls leichtgängig, geräuscharm und mit kurzen Schaltwegen. Beim Einlegen des ersten Ganges ist nur ein leichtes Klacken zu vernehmen, die anderen Zahnradpaare flutschen geräuschlos ineinander - vorausgesetzt, die Drehzahl befindet sich in einem moderaten Bereich. Wenig mehr aus 2000 U/min genügen, um die BT 1100 im Orts-tempo dahinrollen zu lassen. Beim Dreh am rechten Lenkerende zeigt sich der Motor auch im höchsten Gang absolut laufruhig bis hin in Geschwindigkeitsbereiche, die jenseits der Spaßgrenze für diese Fahrzeuggattung liegen.
Als überaus angenehm hat sich die Polsterung der Sitzbank erwiesen. Wenngleich die Muldenform nur eine einzige Sitzposition erlaubt, hat sich diese auch nach mehrstündiger Fahrt - unterbrochen nur von einer kurzen Tankpause - als komfortabel gezeigt. Anlass zur Kritik gibt hier nur die Faltenbildung des Sitzbankbezuges. Gelenkfreundliche Lenkerkröpfung und eine gelungene Anordnung der Fußrasten tragen ihren Teil zum Wohlbefinden des Fahrers bei. Aber auch Passagiere sind auf der 1100er gut aufgehoben. Das Sitzpolster hinten ist ebenfalls gesäßfreundlich geformt und die Soziusfußrasten sind wohltuend tief platziert.
Wer allerdings glaubt, mit der neuen Yamaha einen wieselflinken Kurvenflitzer zu bekommen, der liegt völlig daneben. Ruhiges Dahingleiten ist eher die Domäne der Bulldog als die Hetze von einer Schräglage in die nächste. Dafür gibt es wesentlich leichtere und geeignetere Geräte.
Unsere Redaktionsmaschine wurde Anfang Februar ausgeliefert. Zu Anfang sprang die Bulldog ziemlich unkomfortabel über aufgesetzte Asphaltflicken. Wir wussten nicht, ob das auf die niedrigen Temperaturen oder die bockigen Federelemente zurückzuführen ist. Doch im Laufe der Einfahrkilometer verbesserte sich das Verhalten deutlich. Scheinbar benötigt der hintere Sachs-Dämpfer eine gewisse Eingewöhnungsphase. Notfalls lässt sich die Federvorspannung vorne wie hinter aber auch einstellen.
Wartungsarmut wird bei Yamaha groß geschrieben. Seit dem vergangenen Jahr wurden die Wartungsintervalle für Yamaha-Motorräder auf 10.000 Kilometer verlängert. Nicht nur gänzlich wartungsfrei, sondern auch reaktionsfrei arbeitet der Kardanantrieb.
Beim Anblick des Cockpits kommt richtig Freude auf. Nicht überladen, wartet es aber trotzdem mit allen erforderlichen Informationen auf. Ein echter Blickfang ist die Tacho-/Drehzahlmesser-Kombination. Für alle weiteren Information gibt es ein „Mäusekino”, dessen Größe in etwa der eines Fahrradtachos entspricht. Uhrzeit und Gesamtkilometer sowie zwei Tageskilometerzähler halten den Fahrer ständig auf dem Laufenden. Eine Reserveleuchte gibt bekannt, dass die letzten 5,8 Liter aus dem 20 Liter fassenden Tank angebrochen worden sind. Dann bleiben noch etwa hundert Kilometer zum Sprit fassen. Praktischerweise zählt ein dritter Tageskilometerzähler die gefahrenen Reserve-Kilometer. Hier würde eine simple Tankuhr dem Fahrer sicher die klarere Information bieten, zumal Regentropfen auf dem kleinen Display die Anzeige verzerren.
Unser Durchschnittsverbrauch während der Einfahrzeit pendelte sich bei 5,4 Litern Normalbenzin ein. Das ist nicht gerade wenig für die gebotene Leistung, jedoch besteht berechtigte Hoffnung, dass der Verbrauch mit dem Anstieg der Außentemperatur und zunehmender Laufleistung des Motors noch weiter sinken wird. Wie die meisten japanischen Motorräder hat auch die Bulldog keine Abgasreinigung in Form eines Katalysators. Immerhin erfüllt sie wie fast alle Zweiräder aus dem Hause Yamaha die Euro-1-Abgasnorm.
Der große Klarglas-Scheinwerfer leuchtet die Fahrbahn ganz hervorragend aus. Umrahmt wird er von einer kleinen Cockpit-Verkleidung, die nicht nur schnuckelig aussieht, sondern den Fahrer auch vom größten Winddruck entlastet. Selbstverständlich kann sie nicht den Schutz einer ausgewachsenen Verkleidung bieten, bringt dafür aber auch nicht den Nachteil heftiger Verwirbelungen im Helmbereich und den damit verbundenen Lärm mit sich. Bis etwa 150 km/h kann sich der Fahrer bequem aufrecht hinter dem Windschild halten. Mehr Windschutz gibt es beim Yamaha-Händler für 83,50 Euro in Form einer 90 mm höheren Windschutzscheibe und für 99,50 Euro ist gar ein 190 Millimeter höheres Plastikteil zu haben.
Schön anzusehen, aber leider nicht so gut einzusehen sind die verchromten Spiegel. Die Ausleger könnten gerne ein paar Zentimeter länger sein, und auch die Spiegelfläche ist mehr formschön als großflächig geraten.
Vorteilhaft ist, dass es für die Bulldog keine Reifenbindung gibt. So erspart man sich im Falle eines Reifenwechsels den Papierkram in Form von Unbedenklichkeitsbescheinigungen. Jede Reifenpaarung in den vorgeschriebenen Größen ist möglich. Werksseitig werden die Fünfspeichen-Leichtmetallfelgen mit Metzeler MEZ3F oder Dunlop D205F in den Größen 120/70-ZR17 vorne und 170/60-ZR17 hinten bestückt.
Zurück zu den Wurzeln gehen die Erbauer der Bulldog auch bei der in mancher Hinsicht eher spartanisch anmutenden Ausstattung. Wer das Ablagefach unter der Sitzbank einer Yamaha Fazer oder Kawasaki ZRX 1200 kennt, wird sich beim Anblick des Bulldog-Stauraums verwundert die Augen reiben. Bordwerkzeug, ein paar Ersatzhandschuhe, mehr geht nicht hinein. Der Tankrucksack wird wieder zum ständigen Begleiter, falls man auf Nummer Sicher geht und lieber Regenklamotten dabei hat. Auch Gepäckhaken sucht man vergeblich. Fußrastenhalter und Gepäckträger müssen für die Befestigung ausreichen. Allerdings schafft auch hier der Yamaha-Zubehörkatalog zusätzliche Befestigungsmöglichkeiten. Eine Aluminium-Gepäckbrücke mit lang gezogenen seitlichen Streben für 113 Euro gibt dem Gepäck zusätzlichen Halt. Glücklicherweise erlaubt der Stahltank die Befestigung eines Magnet-Tankrucksackes.
Für 8580 Euro inkl. Nebenkosten liegt die BT 1100 Bulldog ein wenig über dem ursprünglich von Yamaha bekannt gegebenen Preis von „um die 16.000 Mark”. Ein Kampfpreis ist das nicht, aber angesichts der sauberen Verarbeitung der in Blau, Silber sowie Schwarz angebotenen Maschine ein durchaus akzeptables Angebot.
Was die Bezeichnung der BT 1100 angeht: Bulldog klingt irgendwie traditionsreich, kraftvoll und einprägsam. Jedoch hat dieses Motorrad nichts mit der uralten englischen Hunderasse gemein, denn es ist weder ein übermäßiges Kraftpaket, noch ist es Furcht einflößend oder gar agressiv. Und auch der Vergleich mit dem landwirtschaftlichen Ungetüm des Heinrich Lanz drängt sich nicht unbedingt auf. An der Bulldog fehlt nichts Wesentliches, das den Fahrspaß einschränken könnte (sieht man mal vom fehlenden Hauptständer ab, aber der ist ja nicht zum Fahren). Aber es gibt auch nichts Überflüssiges in Form von Plastikanbauteilen. Diese Beschränkung auf das Notwendige macht die Yamaha zu einem echten „Elementar-Teil”.
Quelle: kradblatt online