Ein Biest für kühle Köpfe
VON JÖRG WISSMANN
FOTO: DOUBLE RED
170 kg leicht, 175 PS stark und angriffslustig wie eine Mamba. Die neue Kawasaki ZX-10R ist die Krönung der 20-jährigen Modellgeschichte der Ninja-Baureihe.
Die Ansage von Kawasaki ist klar: Die neue ZX-10R ist der Traum jedes Sporttöff-Fans und der Albtraum jedes Gegners. Kompromisslos auf Performance getrimmt, leichter und stärker als alles Dagewesene. Man mag über Sinn oder Unsinn solchen Leistungsstrebens denken, wie man will. Sicher ist: die Kawasaki ZX-10R, aber auch ihre Ingenieure verdienen Respekt. Respekt für die gelungene Synthese aus Genialität und Wahnsinn, für das Gefühl puren Adrenalins, welches die ZX-10R verströmt. Respekt für die fast unheimliche Kraft des Motors und das brillante Fahrwerk. Respekt für das schnittige Design und die gute Verarbeitung. Und vor allem Respekt von Seiten des Piloten.
Denn so freundlich die Kawasaki ZX-10R aussieht, so humorlos gibt sie sich beim Fahren. Aggressiv aus dem Titanauspuff knurrend macht sie schon im Leerlauf klar, dass sie keine Anfänger mag. Wem ein beim vollen Beschleunigen durchdrehendes Hinterrad oder ein mangels Lenkungsdämpfer schon mal wild zuckender Lenker Sorge bereiten, sollte die Finger von der ZX-10R lassen. Auch unbeherrschte Hitzköpfe haben im Sattel dieser Kawasaki nichts zu suchen.
Wer aber die 175-PS-Tausender mit dem gebührenden Respekt behandelt, wird mit einem überaus anregenden Fahrerlebnis belohnt. «Der Rahmen umfasst den Motor nicht konventionell seitlich, sondern verbindet Lenkkopf und Schwingenaufnahme über das Triebwerk hinweg. Dadurch konnte der Motor tiefer im Fahrwerk verschraubt werden, was das Handling positiv beeinflusst», erklärt Chassis-Ingenieur Yasuhisa Okabe. Eine besonders lange, äusserst massive Schwinge sorgt überdies für gute Traktion. Das Rezept geht auf: Federleicht wie eine 600er verblüfft die ZX-10R mit traumwandlerisch präzisem Handling und hervorragender Stabilität.
Ebenso toll: die Radial-Bremsanlage mit wellenförmigen Bremsscheiben (für bessere Kühlung und weniger Gewicht), welche glasklare Dosierbarkeit mit nötigenfalls brutaler Wirkung paart. Eine Kupplung mit Rückdrehmoment-Limiter verhindert bei harten Bremsungen ein Stempeln des Hinterrades wirkungsvoll. Und über allem thront der Motor, das Triebwerk, diese Quelle von überlegener Kraft und Herrlichkeit. Schon im unteren Drehzahlbereich liefert der Vierzylinder mehr als ausreichend Power, legt in der Mitte mächtig nach, dreht mit sagenhafter Leichtigkeit bis über 12 000/min. Selbst im vierten der sechs Gänge verliert das Vorderrad kurz den Bodenkontakt, wenn der Pilot das Gas voll aufdreht. Gut zu wissen, dass die Einspritzung bestens dosierbar ist, Lastwechsel nur ansatzweise spürbar sind.
Fazit: Die ab Frühjahr 2004 für 19'590 Franken erhältliche Kawasaki ZX-10R ist ein fabelhaft handliches, unglaublich starkes Sportmotorrad, das mit edlen Komponenten, toller Verarbeitung, einem hervorragenden Fahrwerk und schickem Design zu begeistern weiss. Allerdings sollte ihr Pilot über einen stets kühlen Kopf und ein gerütteltes Mass Töfferfahrung verfügen.
STECKBRIEF
Kawasaki ZX-10R
MOTOR: Flüssigkeitsgekühlter Reihen-4- Zylinder- 4-Takter, DOHC, 16 Ventile, Einspritzung, 998 ccm. Mehrscheiben-Ölbadkupplung, 6 Gänge, Kette. 175 PS bei 11 700/min, 115 Nm bei 9500/min.
FAHRWERK: Alu-Brückenrahmen, 43-mm- Upside-down- Gabel, Aluschwinge mit Zentralfederbein. Federvorspannung, Zug- und Druckstufendämpfung vorne und hinten einstellbar. Federwege v./h. 120/125 mm.
BEREMSEN/RÄDER: vorne 300-mm- Doppelscheibenbremse mit Radial-Vierkolbenzangen und 4 Belägen je Zange, hinten 220-mm- Scheibe mit Einkolbenzange. Aluräder, Reifen 120/70-17 und 190/50-17.
ABMESSUNGEN: Radstand 1385 mm, Lenkkopfwinkel 24°, Nachlauf 102 mm, Sitzhöhe 825 mm, Leergewicht 170 kg, Tankinhalt 17l.
Quelle u. Bild: blick.ch
Kompromisslos auf Leistung getrimmt: Die Kawasaki ZX-10R.