Endlich! Eine Guzzi, die wieder echt ist
von Thomas Delekat
Ja, es gibt noch Sägespäne. Wie vor 50 Jahren bei Moto Guzzi. Liegt haufenweise in Mandello di Lario in den Maschinenhallen rum. Sieht naß aus, dunkel vom Schmieröl. Fettige, vollgesogene Holzspäne in einer Halle, vollgeräumt mit grünen Metallverarbeitungsmaschinen. Die haben in den 80ern die 1000er Le Mans-Motoren gebohrt, gedreht, gefräst.
Aber vor ein paar Wochen haben ein paar Mechaniker eine neue Guzzi in den Aufzug geschoben und hinunter in den Hof gebracht. Die Montagehalle ist bei Moto Guzzi im ersten Stock. Sie ist zu groß, man merkt ihr an, daß Moto Guzzi einmal zu den bedeutendsten Herstellern der Welt gehörte - gehörte! Jetzt steht im Hof die Griso 1100. Man sieht sie, man umrundet sie, und man hört sich sagen, hier sei seit Jahrzehnten der Centauro-Irrungen und V11-Wirrungen das allererste Motorrad erschienen, das den vergreisten Guzzisti mit den legendären, steinalten Le Mans und T 850-Maschinen in den Garagen einen Grund gibt, an das Gute zu glauben. Ja! Liebe Guzzi-Jünger: Es ist Ostern in Mandello. Moto Guzzi ist mit dieser Griso 1100 wiedererstanden. Genau so, wie es sich alle erhofften. Ein Motorrad, das alle von weitem erkennen: Ja, da kommt eine Guzzi.
Die Griso stammt nicht aus den Sägespänenhallen. Der Motor kommt aus der Halle daneben, in der die CNC-gesteuerten Präzisionsmaschinen stehen. Das ist der Griso auch deutlich anzuhören. Es ist zwar immer noch dieselbe robuste Motorkonstruktion mit zwei Ventilen, untenliegenden Nockenwellen, Kipphebeln und Stößeln. Aber die Materialien und die Fertigung sind digitalmäßig topmodern. Nichts rumpelt, tickert, rasselt, dieser Trumm von einem Zweizylindermotor läuft mit japanischer Geschmeidigkeit, sogar noch einen Tick kultivierter als bei dem Boxer-Roadster von BMW. Das gilt vor allem bei Topspeed über 200 km/h. Es ist derselbe Motor, der in dem Moto Guzzi-Tourer Breva 1100 viel Lob geerntet hat.
Außer dem Design, der Konstruktion, dem Motor und der Endmontage stammt nichts an der Griso von Moto Guzzi. Das kommt von Spezialisten, da hat Guzzi sich nicht lumpen lassen: Die Telegabel mit 43 mm-Rohren stammt von Showa, die sehr gute Bremsanlage mit den Stahlflexleitungen vom Spitzenhersteller Brembo, die Benzineinspritzung ist von Weber-Marelli (Verbrauch bei einer Bergtour mit der neuen Griso: anständige 6,4 Liter), ein wunderschöner, aber riesiger Tankverschluß aus dem Flugzeugbau, gebürsteten Imbusschrauben aus Edelstahl, abgewinkelte Reifenventile und die aortamäßig dicken Auspuffrohre mit doppelten Wänden gegen die Hitze und das Anlaufen. Bis auf ein paar Gehäuseteile in verchromtem Kunststoff (Lampen- und Blinker) ist an der Griso alles echt, massiv, alles eine Rechtfertigung für die 11 990 Euro, die sie bei uns kostet (ab Oktober). Nirgends die üblichen Anzeichen für italienische Improvisation. Die Griso ist vermutlich das germanischste Big Bike aus Italia.
Mit 88 PS haut die Griso so ziemlich gleich feste auf die Pauke wie die Konkurrenten MT-01 von Yamaha oder die R 1150 R von BMW. Nur beim Drehmoment und im Durchzug ist sie ein bißchen dezenter. Aber unnachahmlich an ihr ist immer noch der einzigartige, wuchtig hämmernde Guzzisound.
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Der neue Kardan hebt das Heck zwarnicht mehr in die Höhe beim Beschleunigen. Aber ein paar andere Eigenarten hat sie sich erhalten. Wenn man die Griso im Stand mal Do-Re-Mi-Fa-So die Drehzahlleiter in die Höhe singen läßt, drängt die schwere, rechtsdrehende Kurbelwelle die ganze Griso interessant nach rechts. Die Kurven nimmt sie mühelos trotz ihres Gewichts (etwa 250 Kilo vollgetankt), das Fahrwerk zickt nicht rum bei fiesen Straßenlöchern, alles ist sportlich straff, alles ist stabil in der Spur, auch bei ordentlich Tempo. Schönheit muß nicht dämlich sein, und die Griso, ein Abschlepp- Angeber- Muscle- und Showbike vor dem Herrn, ist unbedingt ernst zu nehmen mit ihren Motorradtalenten. Die Fußrasten sind ein bißchen hoch, das macht die Knie ganz spitz. Und ein bißchen Lastwechselreaktionen hat sie. Aber das ist auch schon alles. Der Rest ist nur Schönheit, klassisch, und die wird nicht altern.
Artikel erschienen am Sa, 10. September 2005
Quelle: die Welt.de