Beruhigend in Grenzsituationen:
Das ABS kann mehr als der beste Fahrer
Während der technische Standard von Bremsanlage, Fahrwerk und Reifen mit der wachsenden Motorleistung moderner Motorräder in den vergangenen 20 Jahren durchaus Schritt hielt, blieb der Einfluß durch den Fahrer dagegen die Schwachstelle im Brems-Regelsystem. Ist beim Auto die volle Betätigung der Bremse bei trockener Fahrbahn auch für Anfänger relativ gefahrlos möglich, so bringt eine Vollbremsung beim Motorrad aus physikalischen Gründen weit größere Risiken.
Die Fakten: Ein gleichgewichtslabiles Fahrzeug bleibt bis hinab zum Schritt-Tempo durch das festhalten des Lenkers und ab höheren Geschwindigkeiten nahezu ausschließlich durch die Kreiselwirkung der beiden Räder - vor allem des Vorderrades - stabil. Deshalb haben Radstillstände von mehr als 0,5 Sekunden eine spontane Instabilität zur Folge. Ein instabiles Hinterrad führt oft, ein kippendes Vorderrad fast immer zu Sturz. Die ideale Dosierung der Bremskraft verlangt vom Fahrer viel Übung und Feingefühl. Welch hohe Anforderung eine optimale Vollbremsung an den Fahrerstellt, ergibt sich zusätzlich aus der Tatsache daß gleichzeitig und trotzdem separat die Vorderradbremse mit der Hand und die Hinterradbremse mit dem Fuß betätigt werden müssen.
Grenzen der Physik:
In Kurven auch mit ABS keine Vollbremsungen möglich.
Untersuchungen haben gezeigt das etwa jeder zehnte Motorradsturz durch Überbremsung verursacht wurde. Noch weit höher ist die Dunkelziffer von Unfällen, die aus dem Umstand resultieren, daß der Fahrer aus Angst vor einer Überbremsung die Bremsen nicht voll betätigt und somit entscheidenden Bremsweg "verschenkte".
Zu der ohnehin hocheffizienten Verzögerungswirkung moderner Bremsanlagen kommt also mit ABS die Bremssicherheit hinzu. Im Klartext: Mit ABS kann der Motorradfahrer - solange es geradeaus geht - ohne Angst vor einem blockierendem Rad risikolos voll bremsen und somit auch ohne große Fahrpraxis einen optimalen Bremsweg erzielen. Selbst dem besten Fahrer weit überlegen ist das ABS beim Fahren auf Straßen mit niedrigen Reibwerten: Nässe, Raureif, Rollsplitt, Schmutz, Sand und Ölspuren. Insbesondere bei plötzlich wechselnden Reibwerten - wie etwa von trocken auf naß - ist das menschliche Reaktionsvermögen hoffnungslos überfordert. Das ABS hingegen reagiert auch dann schnell und sicher ohne Bremsweg zu vergeuden.
Gewisse Gesetze der Physik kann jedoch selbst das Fortschrittlich ABS II nicht aufheben. Bremsungen in Kurven sind wegen der komplexen Überlagerung von Längs- und Querbeschleunigung grundsätzlich problematisch. Ein Rad das maximale Seitenführungskräfte aufgebaut hat, kann nicht gleichzeitig Längskräfte und damit Bremsleistung übertragen.
In Kurvenschräglage wandert der Reifenaufstandspunkt aus der Mitte. Beim gleichzeitigen Bremsen entsteht automatisch ein Aufstellmoment, welches das Motorrad aus der Schräglage aufrichtet und zur Geradeausfahrt führt. Bei voller Schräglage und höchster Querdynamik kann also nicht voll gebremst werden - auch nicht mit ABS.